Geboren am: 22. März 1927 in Wien
Mutter: Marie, geb. 1894
Vater: Ferdinand, geb. ?, gest. 1941
Verstorben: August 2009 in Wien
Im Jahr 1934 kommt die Mutter Marie Markisch durch Bibelforscher-Schriften, nachdem sie sich zuerst mit den Adventisten beschäftigte, erstmals mit den Lehren der Zeugen Jehovas in Kontakt und lässt sich 1935 taufen. Anna wird durch ihre Mutter nach deren religiösen Vorstellungen erzogen.
Anna besucht vom Herbst 1938 bis zum Dezember 1940 die Hauptschule für Mädchen in der Petrusgasse 10, im 3. Wiener Gemeindebezirk. Sie bekommt wegen der Verweigerung des Hitlergrußes und dem Schreiben eines Aufsatzes mit dem Thema „Vergleiche zum 1. Weltkrieg und Siege des Deutschen Volkes“, in dem sie sich gegen den Krieg ausspricht und Bibeltexte wie „Du sollst nicht töten. Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.“, Probleme mit ihrer Lehrerin Frau Dickbauer, die eine überzeugte Nationalsozialistin ist.
Die Lehrerin meldet diesen Vorfall dem Direktor, worauf die Mutter in der Schule vorgeladen wird. Der Direktor macht die Äußerung: „Mir wäre am liebsten, ich würde von der ganzen Sache nichts wissen. Mir sind die Hände gebunden. Aber ich muss es zur Anzeige bringen.“
Es kommt zur Anzeige. Anna wird Anfang Dezember 1941 aus der Schule entlassen und soll der Jugendfürsorge übergeben werden. Anna wird zunächst bei den Glaubensbrüdern Löffler versteckt. Schließlich holt die Mutter Anna wieder nach Hause, wo es dann am 10. 2. 1941 zur Verhaftung durch die Gestapo kommt.
Im Gestapobericht vom 10.-11. 2. 1941 wird über den Verhaftungsgrund Folgendes ausgesagt:
„Marie Markisch wurde wegen Betätigung für die IBV festgenommen und dem Polizeigefangenenhaus überstellt. Die Genannte hat ihre 14jährige Tochter im Sinne der Lehren der IBV beeinflusst, so dass sich diese weigerte, in der Schule den Deutschen Gruß zu gebrauchen und die Staatshymne zu singen.“ (DÖW 5732c)
Verhör durch die Gestapo am Morzinplatz
Anna und ihre Mutter werden getrennt verhört. Man versucht aus Anna herauszubekommen, wo sie versteckt war und ob sie andere Zeugen Jehovas kennen würde. Die 13jährige Anna gibt keine Namen preis und wird schließlich von einer Jugendfürsorgebeamtin mitgenommen. Anna darf ihre Mutter zwar im Nebenzimmer sehen, aber sich nicht von ihr verabschieden. Anna wird schließlich in die Kinderübernahmestelle gebracht.
Auch die Mutter wird zur gleichen Zeit verhört, man will von ihr dasselbe wie von Anna erfahren, was ihnen aber auch nicht gelingt. Ob Marie Markisch misshandelt wird, ist nicht bekannt. Sie spricht mit ihrer Tochter nie darüber. Frau Markisch wird bis zu ihrer Gerichtsverhandlung auf freien Fuß gesetzt und kann ihre Tochter in den Heimen besuchen.
Überblick über die Heimaufenthalte
1. 10. 2. 1941 bis 6. 3. 1941 Kinderübernahmestelle Wien (KÜST)
2. 6. 3. 1941 bis 10. 7. 1941 Kinderheim Spiegelgrund
3. 10. 7. 1941 bis 27. 8. 1941 Jugendheim Klosterneuburg
4. irgendwann kommt Anna in ein Heim in Deutschland, von dort zu einem Onkel im Sudetenland
Anna ist 14 Jahre, als sie am 10. 2. 1941 in die Kinderübernahmestelle Wien, Lustkandlgasse eingeliefert wird. Obwohl Anna sagt, dass sie die Menstruation hat, wird sie dort so heiß gebadet, dass sie 2 Jahre keine Menstruation mehr hat.
Einen Monat später wird sie in das Kinderheim am Spiegelgrund gebracht.
Ihren ersten Eindruck vom Kinderheim Spiegelgrund schildert Anna so: „Es war alles vergittert. Es war wie im Gefängnis und viel schlimmer als in der Küst.“
Ein Lied, das von den Kindern gesungen wurde, beschreibt die Zustände am Spiegelgrund sehr gut.
„Die Fenster vergittert mit Eisen,
die Türen versperrt mit dem Schloß,
Steinhof ist unser Genoß.
Und wollen uns die Eltern besuchen,
man empfängt sie mit Schimpfen und Fluchen,
besuchen darf ja nicht sein.
Ist unsere Strafe zu Ende,
man reicht uns zum Abschied mit Schimpfen und Fluchen die Hände.
Betretet mir nicht mehr das Haus!
„Was suchst du mein Mädel in stockfinsterer Nacht?“
„Ich suche meinen Vater und meine Mutter, die ich so früh verloren hab.
Mein Vater ist gestorben an Kränkung, meine Mutter an Not,
am Simmeringer Friedhof liegen sie beide tot.“
(WIEDERGEGEBEN VON ANNA MAIERHOFER, IM JUNI 1998)
Anna wird „Am Spiegelgrund“ vom Heimleiter Dr. Krenek Verhören unterzogen, wo ihr unter anderem gedroht wird: „Wenn du deinem Glauben nicht abschwörst, wirst du deine Mutter nie wieder sehen.“ „Wenn du nicht Heil-Hitler grüßt, wirst du deine Eltern nie wieder sehen!“
Anna muss zur Strafe auch im Winter am kalten Fliesenboden barfuß stehen und zieht sich dadurch ein schweres Nierenleiden zu, wegen dem sie in den darauffolgenden Jahren immer wieder in ärztliche Behandlung muss. Ab März müssen alle Kinder aus „Sparmaßnahmen“ barfuß gehen und ab April haben sie untertags nur ein Badetrikot an, ebenfalls aus „Sparmaßnahmen“. Anna ist ständig kalt und nur in der Nacht kann sie sich erwärmen, denn zum Schlafen gibt es wenigstens eine Decke.
Am Spiegelgrund besucht Anna eine Sonderschule, wo sie im Juli 1941 den Schulabschluss macht.
Am Spiegelgrund ist zur selben Zeit der 14 jährige Emil Blaschek, ebenfalls ein Kind von einem Zeugen Jehovas. Anna hat zwar keinen Kontakt mit ihm, hört aber, dass an ihm 3 Spritzen ausprobiert wurden, die Tobsuchtsanfälle hervorriefen. Eine Krankenschwester namens Martha verhilft Emil schließlich zur Flucht.
Zur selben Zeit ist auch Annas Cousine Regina Markisch, die aufgrund einer Behinderung – sie konnte nicht sprechen – am Spiegelgrund ist. Sie stirbt am 8.1.1942 an den Folgen einer künstlichen Lungenentzündung.
Anna wird bis zur Inhaftierung der Mutter von ihr besucht und ermuntert auszuharren und ihren Gott nicht zu verleugnen. Ansonsten hat Anna nichts – auch keine Bibel – womit sie ihren Glauben stärken kann.
Dr. Krenek verspricht Anna schließlich, dass sie freikommt. Stattdessen wird sie in die Jugendanstalt Klosterneuburg überstellt.
Bei der Gerichtsverhandlung werden folgende Gründe für die Einweisung Annas in ein Kinderheim angegeben: „Die Minderjährige habe in der Schule den Verkauf von Ansichtskarten für den VDA mit der Begründung, das sei Politik und gehe gegen ihren Glauben verweigert und äußerte, dass sie nur der Heiligen Schrift und den Gesetzen des Herrn zu folgen gewillt sei; sie äußerte in einem Aufsatz Ansichten über die Bibelforscher, insbesondere betreffs der Verpflichtung zur Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen und wurde deshalb und wegen Verweigerung des Deutschen Grußes aus der Schule ausgeschlossen.“ (Beschluss des Jugendgerichts Wien, vom 13.2.1941)
Anna wird als ruhiges Kind beschrieben, das immer nett, ordentlich und gut erzogen ist. Sie stehe allerdings unter dem Einfluss der Mutter und beschäftige sich fast ausschließlich mit der Lektüre der Bibel. (Beschluss des Jugendgerichts Wien, vom 13.2.1941)
Die Wegnahme von der Mutter wird am 13. 2. 1941 folgendermaßen begründet: „Es erscheint daher notwendig, die noch nicht 14jährige Minderjährige dem ständigen Einfluss der Mutter zu entziehen, um eine weitere Entfremdung, Gehorsamsverweigerung, sowie eine negative Einstellung gegen den Staat aus angeblich religiösen Motiven erzieherisch hintanzuhalten.“ (Beschluss des Jugendgerichts Wien, vom 13.2.1941)
Das Rekursgericht tätigt am 10. 5. 1941 folgenden Beschluss, dass Anna durch die Erziehung der Mutter im Sinne der Lehren der Bibelforscher im praktischen Leben in die größten Schwierigkeiten geraten müsste und sich nicht in die Volksgemeinschaft einfügen würde. „Eine Erziehung, welche die Minderjährige auf den ihr im Rahmen der Volksgemeinschaft zufallenden Pflichtenkreis entsprechend vorbereiten würde, kann der Minderjährigen, derzeit bei der Mutter, nicht zuteil werden.“
In Klosterneuburg
Anna kommt nach Schulabschluss Anfang Juli 1941 in die Jugendanstalt Klosterneuburg, wo sie mit Helga Traxler, der Tochter einer Familie von Zeugen Jehovas, zusammen ist. Dort müssen die Kinder vor allem Gartenarbeit verrichten. Helga kommt schließlich in ein Heim nach Deutschland.
Der Onkel Georg Markisch setzt sich für Anna ein und übernimmt die Vormundschaft. Anna kommt auf den Bauernhof ihres Onkels Franz Lorper im Sudetenland, der eine große Landwirtschaft hat. Dort bleibt sie bis Ende 1942 und wird von ihrer inzwischen freigelassenen Mutter abgeholt.
Anna möchte gerne Kindergärtnerin werden. Dies wird ihr allerdings aufgrund ihrer Religion nicht gewährt.
Im November 1943 beginnt Anna eine Schneiderlehre bei der Firma Wahala in der Wollzeile. Bis zum Kriegsende werden sie und ihre Mutter von der Gestapo bespitzelt.
Nach dem Krieg heiratet Anna und bekommt einen Sohn, Johannes. Die Ehe wird geschieden.
Mutter: Marie (Zeugin Jehovas) geb. 1894, wird am 10.2.1941 zusammen mit Tochter Anna verhaftet und am 22. 8. 1941 zu einer 6-monatigen unbedingten Gefängnisstrafe und zu 12 Monaten bedingter wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt. Sie ist vom 27. 9.1941 im Landesgericht Wien und ab 27. 12. 1941 bis Juni 1942 in der Haftanstalt Wiener Neustadt. Außerdem werden ihr ab 1. Aug. 1943 die Versorgungsbezüge für 2 Jahre entzogen mit der Begründung: „Bei der besonderen Verwerflichkeit der Bestrebungen der Internationalen Bibelforscher ist die Verhängung der Maßnahme auf die höchstzulässige Dauer angezeigt.”
Vater: Ferdinand, gest. 1941, ab 1936 frühpensionierter Kanalisierungsbediensteter, Sozialdemokrat, interessiert sich für die Lehren der Zeugen Jehovas, muss wegen Verschlechterung eines Gefäßleidens ins Lainzer Krankenhaus, wo er sich während der Verhaftung der Mutter befindet. Dort erhält er laut Tochter Anna Injektionen, die eine künstliche Lungenentzündung hervorrufen. Am Tag der Verhaftung seiner Frau und Tochter erhält er laut Aussage der Tochter Anna Maierhofer an diesem Tag eine Injektion, die zum Tod führt. Die offizielle Todesnachricht besagt: „Herzschlag aufgrund der Aufregung.”
Quellen:
Persönlicher Bericht von Anna Maierhofer aus dem Jahr 1998
DÖW 5732a
Beschluss des LG Wien 13. 2. 1941
Beschluss des LG Wien 10. 5. 1941
Haftbestätigung LG Wien 7. 11. 1946
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